Die Zeit tickt. Net-Zero oder CO₂-Neutralität sind die Schlagwörter der Wirtschaftstransformation. Die EU will das bis 2050 schaffen, Deutschland 2045 und Österreich 2040 haben sich da noch ambitioniertere Ziele gesetzt (mehr hier lesen). Die Frage ist, was kann, was muss die Industrie beitragen? Die EU hat dafür den Net Zero Industry Act beschlossen.
Grüner Stahl und Wasserstoff
Es tue sich viel, sagt Klaus Friesenbichler vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) in Wien. Das Hauptthema der Industrie ist die Elektrifizierung der Prozesse mit grünem Strom. Dabei spielt die Wasserstofftechnologie eine wichtige Rolle (Beitrag zu investieren in Wasserstoff). „Wir sehen derzeit viele Projekte in Europa“, so Friesenbichler. Die in Voestalpine AG will in ihren Standorten Linz und Leoben ab 2027 jährlich 2,5 Millionen Tonnen Stahl emissionsreduzierten Stahl produzieren. Die Hälfte der Emissionen kann vorerst mittels der Verstromung des Schmelzvorganges mittels Lichtbögen eingespart werden. Im nordschwedischen Städtchen Boden entsteht gerade das größte grüne Stahlwerk der Welt. Mittels dem dort massig verfügbarem Ökostrom aus Wasserkraft soll Erz mittels grünem Wasserstoff emissionsfrei geschmolzen werden. Der Bedarf, etwa in der Autoindustrie, sei aufgrund der vorordneten Emissionsziele gewaltig, mehr dazu im Börsianer Grün Briefing.
Climate Fact
Prozessbedingte Emissionen
Nicht überall lässt sich dabei Kohlenstoffdioxid (CO₂) vermeiden. In der Zementherstellung oder auch in der Müllverbrennung sind sie Teil des Produktions- oder Verarbeitungsprozesses. Mit sogenannten Abscheideverfahren könnte man das Problem lösen. Im aktuellen Podcast von Börsianer Grün sprechen wir darum mit Professor Bernd Epple der an der TU in Darmstadt eines der führenden CO₂-Abscheideverfahren leitet – hier reinhören!
Der Weg der Industrie zur Klimaneutralität
CO₂-Abscheidung: Chancen und Hürden
Von mehreren möglichen Verfahren verfolgt Epple und sein Team seit 2008 das Carbonate Looping Verfahren. Dabei wird das Kohlenstoffdioxid abgeschieden und soll dann weiter gespeichert (CCS) oder für andere Prozesse (etwa als Ausgangsstoff für Synthesen) genutzt werden. Das Problem: Derzeit sind ist die Speicherung in Deutschland wie auch Österreich verboten. Angesichts der Herausforderungen der Klimaerhitzung und einigen Klärungen zum Thema Sicherheit könnte hier aber eine Genehmigung, wie sie etwa in den USA und anderen europäischen Ländern vorhanden ist, bevorstehen. Zum Thema Lagerung mein Epple: „Die Norweger haben große Bohrlöcher, aus denen sie einst Erdöl holten. Darin lässt sich ausreichend Kohlenstoffdioxid einlagern und die Norweger würden das auch machen!“ Stellt sich nur die Frage, wie das ungeliebte CO₂ gen hohen Norden kommt? „Hier muss in die Infrastruktur investiert werden. Wir brauchen eine Pipeline“, meint Epple.
Aufgrund solcher Aufwendungen für den Abtransport lässt sich ein Komplettpreis eines solchen Abscheideverfahrens nicht genau beziffern. Allein die Abscheidung ist aber durchaus marktreif. Diese hängt stark von der Anlagengröße ab. Epple nennt einen Durchschnittwert von 30 Euro pro Tonne C02 –der auf Börsen gehandelte Preis von CO₂-Zertifikaten liegt schon jetzt klar darüber und wird weiter steigen.
Das Projekt der Darmstädter ist übrigens schon in der Erprobungsphase. Versuchsprojekte bei zwei Müllverbrennungsanlagen, einem Zement-, einem Kalkwerk und einer Papierfabrik sind bereits im Laufen. Dazu wird eine mobile Anlage in einem Container aufgebaut, der für den Transport per LKW vorgesehen ist. Andere Projekte entstehen in ganz Europa. Epple: Europa ist hier jedenfalls technologisch führend. In Österreich arbeiten etwa der Zementhersteller Lafarge, die OMV AG, die Verbund AG und Borealis arbeiten etwa in einer branchenübergreifende Zusammenarbeit im Projekt „Carbon2ProductAustria“ an der Abscheidung du Nutzung von CO₂.
Dekarbonisierung und Wettbewerbsdruck
Das Thema Abscheidung sieht Wirtschaftsforscher Friesenbichler im Kontext der Energiewende aber eher als Nebenschauplatz. Hinsichtlich des Wettbewerbs sieht er die USA starke Kapazitäten in den Bereichen Batterien oder Halbleitern aufbauen. Auch China habe hier ein exportorientiertes Wachstumsmodell geschaffen. Über diese Schlüsseltechnologien werde auch definiert sein, wer im globalen Wettbewerb die besten Voraussetzungen hat. Dass Europa wirtschaftlich unter Druck gerät, hänge laut Wirtschaftsforscher Friesenbichler nicht primär an den Vorgaben des Transformation (Stichwort Green Deal), sondern an den im Vergleich zum Mitwerbern immens gestiegenen Energiepreisen. Friesenbichler verweist aber auch auf einen aktuellen Bericht wonach hohe Energiepreise und die Notwendigkeit zur Dekarbonisierung die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen können. Unternehmen, die nicht in der Lage sind, die Kosten durch höhere Effizienz oder Innovation auszugleichen, könnten Marktanteile verlieren oder gezwungen sein, Teile ihrer Produktion ins Ausland zu verlagern, wo die Energiepreise niedriger und die Umweltauflagen weniger streng sind.